Carson McCullers: Das Herz ist ein einsamer Jäger

Ein hoffnungsloses Elendsbild

Schon lange wollte ich diesen Klassiker der amerikanischen Literatur lesen, den das Time Magazine zu den besten 100 englischsprachigen Romanen und Elke Heidenreich zu ihren Lieblingsbüchern zählt. Dass es nun bei mir doch nicht für fünf Sterne gereicht hat, obwohl Carson McCullers (1917 -1967) die Atmosphäre in einer namenlosen heißen, schmutzigen Kleinstadt in Georgia am Ende der 1930er-Jahre mit großem erzählerischen Talent einfängt, liegt an der fast absoluten Hoffnungslosigkeit der Geschichte und der durchweg düster-depressiven Stimmung, die mich den Roman fast nicht hätte zu Ende lesen lassen.

Im Mittelpunkt dieses Debütromans, den sie im Alter von nur 23 Jahren 1940 veröffentlichte und der sofort auf der amerikanischen Bestsellerliste stand, stehen der taubstumme John Singer und seine vier Besucher Jake Blount, Biff Brannon, Mick Kelly und Doktor Benedict Copeland. Singer, der Mann mit dem friedlichen Ausdruck im Gesicht, hat das verloren, was ihm das Liebste war: seinen ebenfalls taubstummen Freund Spiros Antonapoulos, der in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde und später stirbt. Über Singer wird gesagt, dass man seinen Gesichtsausdruck als weise oder bekümmert bezeichnen könnte, vermutlich ist es letzteres, aber seine Mitmenschen deuten ihn als Weisheit. Über Singer wird viel erzählt, jeder sieht in ihm das, was er sehen möchte, jeder schildert ihn so, wie er ihn sich wünscht, und vor allem seine vier Besucher machen ihn fast zu einer Art Gott und sind davon überzeugt, dass nur er sie versteht. Mit ihren Besuchen bei ihm überdecken sie ihre Einsamkeit.

Jake Blount, Mechaniker auf dem Rummelplatz, Alkoholiker, Choleriker, träumt von Freiheit, Gleichheit und der Ausrottung des Kapitalismus ohne Mitglied in der kommunistischen Partei zu sein. Mick Kelly, dreizehnjährige Tochter einer armen, kinderreichen Familie, könnte dem Elend vielleicht durch Bildung entrinnen, muss aber früh die Schule verlassen, um zum Familieneinkommen beizutragen. Ihre Träume gehören der Musik und einem eigenen Klavier. Biff Brannon ist der Besitzer des Café New York, das die ganze Nacht geöffnet ist, und lebt nach dem Tod seiner Frau und einer nicht glücklichen Ehe allein. Doktor Benedict Copeland, schwarzer Arzt, leidet an der Schwindsucht, opfert sich beruflich völlig auf und möchte die Farbigen aus der Unwissenheit und der Unterdrückung führen.

Der Roman, der die Spanne eines guten Jahres umfasst, ist ein Stück amerikanische Zeitgeschichte. Er erzählt von Armut, Verelendung, Rassismus, Hoffnungslosigkeit und vor allem von der Einsamkeit, der Isolation und der fehlenden Kommunikation der Menschen und hat mich damit an die Theaterstücke ihres Zeitgenossen Tennessee Williams erinnert.

Carson McCullers: Das Herz ist ein einsamer Jäger. Diogenes 2013
www.diogenes.ch

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